Olympia 2008- Sportschießen hat sich erledigt?

Olympia 2008- Sportschießen hat sich erledigt?
18.08.2008- „Aus Sicht der Sportschützen sind die Olympischen Spiele 2008 in Peking vorbei. An der Medaillen- Bilanz müssen nun andere Sportarten weiterarbeiten. Momentan sieht es gut aus, auch wenn für mich das eine oder andere Unerwartete passiert ist....“ so die ersten Zeilen aus dem privaten Olympiatagebuch von SSB- Geschäftsführer Martin. Wer Interesse an dieser ganz privaten Meinung hat, findet im /Forum/ den kompletten Text.



Aus Sicht der Sportschützen sind die Olympischen Spiele 2008 in Peking vorbei. An der Medaillen- Bilanz müssen nun andere Sportarten weiterarbeiten. Momentan sieht es gut aus, auch wenn für mich das eine oder andere Unerwartete passiert ist.

Dabei waren im Vorfeld von Olympia die Erwartungen an die Sportschützen hoch. Bis zu 8 Medaillen wurden gehandelt, 3 bis 4 waren wohl realistisch. Herausgekommen sind eine Silber-, drei Bronzemedaillen und weitere Top Ten- Platzierungen. Als leicht bittere Pille müssen wir schlucken, dass leider keine Goldmedaille dabei ist. Ich halte es da aber auch mit dem Fazit von DSB-Präsident Josef Ambacher: „Wir haben mit vier Medaillen ein herausragendes Ergebnis erzielt. Es ist immer schade, wenn kein erster Platz dabei ist, aber die zweiten und dritten Plätze sind für mich gleichbedeutend und alle anderen, die an den Start gegangen sind, haben ebenfalls Anteil an dem Erfolg.“ Für den Sächsischen Schützenbund bedeutet dieses Ergebnis auch eine gute Verhandlungsposition für die Sportförderung in den kommenden Jahren. Es ist schon hart, wenn der Sächsische Schützenbund, seines Zeichens drittkleinster Verband im Deutschen Schützenbund mit nicht mal 1% der Mitglieder, fast ausschließlich an olympischem Edelmetall gemessen wird. Dabei hatten wir doch zwei anrechenbare Teilnehmer an den Spielen, was immerhin 10 % der aktiven Sportschützen an der Olympiamannschaft bedeutet. Die Weltcup- Siege von Axel Wegner (Skeet) und Christian Reitz (Schnellfeuer) aus diesem und dem vergangenen Jahr sind da schon fast wieder in Vergessenheit geraten. Genau deshalb war es für uns ganz wichtig, dass der Löbauer Christian Reitz bei seinem Olympiadebüt eine Bronzemedaille gewonnen hat.

Ja, wie waren sie eigentlich, die Leistungen der deutschen Sportschützen. Glaubt man der Presse, öfter enttäuschend. Aber wir sind nun mal keine Laien ohne Sachverstand mit überzogenen Anspruch wie mancher Vertreter der schreibenden und sprechenden Zunft. Viele Leistungen können sich durchaus sehen lassen und bedeuten Schulterschluss mit der Weltspitze. DSB- Präsident Ambacher sprach von „respektablen Leistungen“ und „oft nur durch Pech“, dass die deutschen Schützen „am Eintritt in die Finalrunden scheiterten“. Es ist der Blinddarm unserer Sportart, dass ein Ring weniger gleich mal fünf, zehn oder auch fünfzehn Platzierungen nach unten bedeuten kann. Wir alle haben Sonja Pfeilschifter am ersten Olympia- Tag die Daumen gedrückt, manch einer ist 4:30 Uhr aufgestanden. Es hat nicht sollen sein. 396 sind sicherlich nicht ihr bestes Ergebnis, aber eben auch nicht schlecht. Nahtlos den glücklosen Anschluss schaffte Karsten Bindrich dann im Trap. Im Stechen um 2 Finalplätze unter drei Schützen war er der Glücklose. Am Folgetag war es Susanne Kiermayer, die erfolglos blieb. 65 Scheiben sind sicherlich auch nicht das beste Ergebnis von ihr, gemessen an der Vorkampfleistung der Trap- Schützinnen aber eben auch wieder nicht „enttäuschend“. Nächster Tag, gleiche Tendenz. Mit der Freien Pistole schoss Hans-Jörg Meyer 557 Ringe und rutschte mit 2 fehlenden Zählern am Finale vorbei. Die wohl bekannteste Bogenfrau Anja Hitzler sicherte sich erst Sieg und dann ereilte sie die Niederlage. Pech, ihre Gegnerin war die Olympiasiegerin von Athen. War es denn anders zu erwarten, wenn man in den Erdteil fährt, in dem in einigen Ländern Bogenschießen zum Schulsport gehört. „Enttäuschend?“- bei weitem nicht. Den nächsten Tag mit 2 Wertungen gestaltete als erste „Munki“, wie Munkhbayar Dorjsuren von den Schützen genannt wird, erfolgreicher. Als Vorkampfzweite mit der Sportpistole sicherte sie sich mit einem guten Finalabschluss die Bronzemedaille und somit auch das erste Edelmetall für die Sportschützen. Bogenmann Jens Pieper schaffte es dann nicht über die erste Runde und schied aus. Der nächste Tag begann ohne Finalteilnahme. Die Sportgewehrfrauen schossen zwar nicht schlecht, aber eben auch nicht rekordverdächtig. Drei Ringe fehlten Barbara Lechner am Finale und Sonja Pfeischifter in jedem Anschlag. Etwas mehr daneben war dann allerdings Sonjas verbale Entgleisung- im Endeffekt hat sie vorbei geschossen und nicht der Bundestrainer. Das Tagesergebnis richtete dann Christine Brinker. Live konnten wir im Fernsehen und im Internet eine, ganz anders zu sonstigen Darstellungen, gut kommentierte Finalserie sehen. Christine schoss ein souveränes Finale mit olympischem Finalrekord und stand am Ende mit zwei weiteren Schützinnen scheibengleich auf Platz 1. Das letzte Quäntchen Glück fehlte dann im Stechen und so wurde es „nur“ Bronze. Ganz ehrlich, in meiner Rechnung war Christine Brinker als Medaillenkandidatin enthalten. Noch viel aufregender war dann der nächste Wettkampftag, die zwei sächsischen Sportschützen absolvierten ihre ersten Qualifikationsrunden. Christian Reitz lag gut, 289 mit der Schnellfeuerpistole bedeuteten ringgleich mit Besserplatzierten Rang 4. Nicht ganz so gut ging’s Skeetmann Axel Wegner mit 69 von 75 Treffern. Der Abstand zur Spitze ist zwar reichlich, aber eine Finalteilnahme wäre noch möglich. Also Axel, morgen zwei Volle bitte. Selbst unser Landessportbund entdeckte mit einem Mal, dass „Hoffen auf die Schützen“. Hallo, Erde an Landessportbund- auch in Sachsen stellt der Sächsische Schützenbund mit 2 Teilnehmern immerhin 9% der „sächsischen“ Olympiamannschaft. Ob das wohl am aktuellen sächsischen Olympia- Medaillenspiegel liegt? Bei dem, sicherlich verständlichen, sächsischen Egoismus ging fast unter, dass leider kein deutscher Liegendschütze in Finalnähe kam. Und dann war auch noch die gestrige verbale Entgleisung. Ich persönlich finde es gut, dass DSB- Sportdirektor Gabelmann zu seinem Bundestrainer steht. „egal, ob mit oder ohne Sonja.“. Für mich, die passenden Worte. Dann begann der in Sachsen lang erwartete Schützenfinaltag. Axel Wegner erfüllte sich und uns leider nicht den Wunsch nach einer Finalteilnahme. Mit 2x 23 Treffern reichte es nur zu Platz 20, schade. Der zweite deutsche Teilnehmer Tino Wenzel schrammte mit nur einer Fehlscheibe knapper am Finale vorbei. Ganz anders verlief der Wettkampf mit der Schnellfeuerpistole. Mit der zweiten Halbserie sicherten sich Ralf Schumann und Christian Reitz ringgleich als 5. und 6. die Finaleilnahme. Das Finale selber wurde dann später passend vom ZDF- Reporter als „verrückt“ oder von anderen als „dramatisch“ bezeichnet. Beide schossen ein souveränes Finale oberhalb von 200 Ringen, Ralf hatte 2 Zehntel mehr als Christian. Als 5. und 6. waren sie allerdings im ersten Finaldurchgang, die besten 3 kamen dann noch. Eine lange Zeit des Wartens mit viel Hoffnung begann. Serie um Serie stieg die Spannung und wurde eine Medaille greifbarer. Bis auf den Ukrainer Petriv konnten die restlichen Finalteilnehmer allesamt nicht ihren zum Teil beträchtlichen Vorsprung über das Finale retten. Mit einem Riesengeschrei und manch einer Träne löste sich dann die Spannung. Aufgrund der sehr guten Finalleistung schafften Ralf und Christian das Erhoffte, holten olympisches Silber und Bronze nach Deutschland. Ganz großes Kino, wie ich finde. Herzlichen Glückwunsch an beide und sachsen-egoistisch natürlich besonders an Christian Reitz. Der letzte Tag der Sportschützen zu Olympia reihte sich dann wieder in die Normalität ein. Maik Eckhardt schoss ein gutes Ergebnis, verfehlte das Finale um einen Ring und landete auf einem guten 10. Platz. Das war das Sportschießen zu Olympia 2008 in Peking.

Bleibt die ungeliebte Ursachensuche zu den sportlichen Leistungen und dem Goldmangel. Ich persönlich stimme da Diskuswerfer Lars Riedel (u. a. Olympiasieger 1996, 5x Weltmeister) zu, der kürzlich die Ausscheidungswettkämpfe im Olympiajahr als eine der Ursachen nannte. Im Sportschießen muss man sich mit einigen der Weltbesten im eigenen Land auseinandersetzen. Das bedeutet auch, dass der Sportschütze erst mal den Ausscheid meistern muss, daraufhin trainiert. Es nützt einem ja nichts, wenn man zwar gut oder besser ist, aber eben nicht zu Olympia fahren kann. Und machen wir uns nichts vor, auch im Sportschießen kann niemand seine Höchstform über Wochen und Monate strecken. Also neigt sich die Ergebnis- die Leistungskurve zum eigentlichen Wettkampfhöhepunkt schon wieder nach unten.
Auf den Prüfstand gehört für mich des weiteren die Förderpolitik. Sportschießen ist ein reiner Amateursport, unsere Athleten gehen für ihr Einkommen arbeiten. Das krasseste Beispiel dafür ist wohl „unser“ Axel, der unter „geförderten Bedingungen“ ein mal in der Woche einen halben Tag und ein weiteres mal am Wochenende trainieren kann. Die restliche Zeit sitzt er hinterm Lenkrad und verdient Geld. Wie bitteschön, soll so ein Mann selbst bei einem anerkanntermaßen gegebenen Talent dauerhaft Weltspitzenleistungen bringen, wenn immer mal wieder „Umstrukturierungen“ bei seinem Arbeitgeber anstehen und ggf. die eigene Arbeit auf dem Prüfstand steht. Da beruhigt es ja besonders, dass solche Entscheidungen erst nach Olympia getroffen werden. Ähnlich und doch anders gilt das wohl auch für Christian Reitz. In ganz Sachsen war es nicht möglich, einen solch talentierten Mann beruflich unterzubringen. Was blieb, Christian wird jetzt in Hessen Polizist. Im übrigen ähneln sich die Geschichten. Den in Meißen geborenen und lange in Leipzig schießenden Ralf Schumann wollte oder konnte Anfang der neunziger Jahre auch niemand in Sachsen halten. Jetzt, wo selbst Ralf Schumann vom „gefundenen Nachfolger“ spricht, ist auch Christian weg. Würde mich nicht wundern, wenn der Olympiastützpunkt, an dem Christian jetzt angebunden ist, „vor Lachen nicht in den Schlaf kommt“. Macht man mal die sportliche Laufbahn von Ralf Schumann beispielgebend zur Grundlage, haben wir mit dem 21- jährigen Reitz gut 20 Jahre Weltspitzenleistungen und vielleicht die eine oder andere Olympiamedaille verschenkt. Ich kann mich gut an eine Aussage der Landestrainerin Dr. Tränkner erinnern, dass der „SSB immer mehr zum Talentlieferanten für andere verkommt“. Genau- Punkt, Satz und Sieg.
Sicherlich sind das nicht die einzigen Ursachen, aber es sind die Ursachen, die mich bewegen und die teilweise sehr deutliche Auswirkungen haben. Komisch, dass seitens der schreibenden und sprechenden Zunft noch niemand mal auf solche Ideen gekommen ist oder die Sportförderung kritisch hinterfragt hat.

Ganz zum Schluss bleibt auch noch eine andere, seltsam schmeckende, Pille. Ich kann die Enttäuschung der deutschen Sportschützen nachvollziehen, dass nicht Ralf Schumann die Fahne zur Eröffnungsfeier getragen hat. DSB-Sportdirektor Heiner Gabelmann fasste das in die Worte:„Unsere Teilmannschaft ist schon ein wenig enttäuscht, dass mit der alten Tradition gebrochen wurde, langjährige und erfolgreiche Olympioniken für das Tragen der deutschen Fahne auszuwählen. Immerhin hat Ralf Schumann mit drei Goldmedaillen und der sechsten Olympiateilnahme beste Referenzen vorzuweisen. Natürlich gönnen wir alle dem populären Profi Dirk Nowitzki diese Ehre, das ist gar keine Frage, doch hat man sich damit von einem guten Brauch früherer Spiele verabschiedet“. Es war ja nicht Springreiter Ludger Beerbaum, ein ebenfalls mehrfacher (6x) und erfolgreicher Olympiateilnehmer (4x Gold), für eine solche Entscheidung wäre sicherlich Verständnis da gewesen. Nein, rational ohne sportliche oder menschliche Bewertung, es war ein Profisportler, der nicht mal in Deutschland spielt und ganz nebenbei der höchstverdienende Sportler der gesamten Equipe ist. Wenn es ein wirtschaftliches Signal sein sollte, na ich weiß nicht, dann war es wohl an der verkehrten Stelle. Für den Amateursport, und zu dem gehören alle Sportschützen, war es für mich das falsche Signal. Da kann dann auch der Kommentar von Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, nicht wirklich etwas richten: „Wir haben uns für einen Fahnenträger entschieden, der eine untadelige sportliche Haltung hat, der Erfolg mit Teamgeist verbindet. Der das Big Business kennt und trotzdem bescheiden geblieben ist.“ Die abschließende Wertigkeit zeigt sich im sportlichen Ergebnis, Nowitzki schied mit den Basketballern in der Vorrunde aus und Schumann erkämpfte sich seine 5. Olympiamedaille.

Quintessenz des ganzen, bevor nun wieder die Sportler und Trainer kritisiert, Leistungen herabgemindert und ggf. personelle Konsequenzen gefordert werden, ist wohl auch ein Nachdenken zur Sportpolitik in Deutschland und Führungsqualitäten im Sport angesagt.

Ralph Martin